Mit Superhost Antonio unterwegs in den Gassen der Sizilianischen Hauptstadt

In der aktuellen Ausgabe von Sense of Home begleitet Lea Rieck den Gastgeber eines jahrhundertealten Palazzos durch die ehrwürdigen Straßen Palermos.

Durch die Fenster der Kuppel ganz oben im Palazzo Cattolica scheint die Sonne in das Treppenhaus, bricht sich an alten Statuen, Staub tanzt. „Auf diesen Stufen kann man nur schreiten, das ist das Besondere an diesem Palazzo!“, lacht Antonio, als er ins oberste Geschoss zu seiner Wohnung steigt. Er hat sich inzwischen an das Schrittmaß der Treppe gewöhnt, das flacher und länger ist, als man es kennt. Der Grund dafür: Anfang des 18. Jahrhunderts, als der Palazzo erbaut wurde, mussten noch Pferde die hochherrschaftlichen Treppen erklimmen. Ruhig und weit sind Antonios Schritte jetzt, wie alles in diesem Treppenhaus, das in Kurzfassung die Geschichte von Palermo zu erzählen scheint: ehemaliger Reichtum, Dekadenz, dann Verfall, Armut und Hoffnungslosigkeit – und nun ein neuer Frühling, eine moderne Renaissance.

Seit 15 Jahren lebt Antonio in diesem Palazzo: zunächst alleine in einer kleineren Wohnung im obersten Geschoss, die er damals günstig erstehen konnte, weil niemand in der Mafiahochburg leben wollte. „Fünf Jahre später habe ich den Anruf einer italienischen Prinzessin bekommen, die mich fragte, ob ich jemanden kenne, der ihr großes Apartment nebenan kaufen wolle. Da haben meine Frau und ich nicht lange nachgedacht.“ Jetzt vermietet er die alte Wohnung durchgehend auf Airbnb und lebt mit seiner Frau Fiammetta und seinen Töchtern Felicita und Futura nebenan. „Gerade bauen wir auch noch das Dachgeschoss aus. Palermo erlebt einen touristischen Frühling“, sagt er.

Die Anti-Mafia-Politik der letzten Jahrzehnte trägt endlich Früchte. Das merkt Antonio auch in seinem Job. Er vermietet Segelboote und fährt Törns mit Touristen. Seit ein paar Jahren floriert das Geschäft. Die Sommermonate verbringt die Familie auf ihrem Segelboot in Griechenland, dann wird auch die eigene Wohnung vermietet, die auf den nächsten Seiten zu sehen ist.„Für Besucher ist das natürlich toll: Man lebt mitten in der Geschichte von Palermo, und trotzdem ist nichts altbacken.“ Überhaupt findet Antonio, dass man weder in der Wohnung noch im Leben Angst haben darf, Altes mit Neuem zu kombinieren. Unter dem Anstrich legte er beim Umbau über 100 Jahre alte Wand und Deckenfresken frei, die in neuen Farben nachgezeichnet wurden.

Darunter versammelt sich ein eklektischer Möbel-mix: alte Schränke vom Tabakladen nebenan, die Antonio vor dem Sperrmüll rettete, eine dunkle Tapete aus dem Theater, vor der ein quietschpinkes Fahrrad der Kinder parkt, und handgefertigte Kissen von einem befreundeten Händler. Im großen Wohnzimmer, kann man die mitreißende Energie spüren, die aus all dem Alten entsteht, das hier in neuer Funktion zusammenkommt. „Man muss sich das vorstellen: Ich bin ein Touristenbootkapitän, aber lebe in einem Palazzo. Das ist Palermo.“ Vor einem der bunten Kunstwerke an den Wänden seiner Wohnung kommt Antonio zum Stehen. Den Künstler kennt er persönlich. „Die Gemeinschaft in Palermo hört nicht mit den eigenen vier Wänden auf. Das ganze Viertel ist unser Zuhause. Und wir versuchen mit unseren Möbeln und den Kunstwerken, ganz Sizilien unsere Wohnung zu holen.“

Das Viertel La Kalsa

Die Altstadt von Palermo ist in vier kleine Viertel unterteilt, der Palazzo Cattolica liegt in „La Kalsa“. Zu Fuß sind es fünf Minuten zum Hafen; Restaurants, Bars und Boutiquen befinden sich sogar im selben Gebäude und direkt vor der Tür. La Kalsa kommt von Al-Khalesa aus dem Arabischen und bedeutet „der Erwählte“. „Warum ich damals La Kalsa als Wohnort ausgesucht habe? Das liegt doch auf der Hand.“ Oder besser gesagt: im Hafen. Denn für Antonio, der seine Leidenschaft für Segelboote zum Beruf gemacht hat, spielt die unmittelbare Nähe zum Meer die größte Rolle. Nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf erwachen die Palazzi und verfallenen Gebäude in La Kalsa seit ein paar Jahren zu neuem Leben: Inzwischen gibt es so viele Restaurants, Bars und Boutiquen, dass man das weite Meer in den schmalen Gassen mit Kopfsteinpflaster und ihrer vibrierenden Lebendigkeit fast vergisst.

Tipps von Antonio, Superhost auf Airbnb

 

ESSEN

Antica Focacceria San Francesco: Die Geschichte der Focacceria geht zurück bis ins Jahr 1825, als der ehemalige Koch der Fürsten von Cattolica eine dekonsekrierte Kapelle geschenkt bekam, in der er seitdem für die normale Bevölkerung kochte. Heute ist das himmlische Essen der Focacceria, die sich direkt neben Antonios Hauseingang befindet, so bekannt, dass es sogar Filialen in Rom und Mailand gibt. Die wurden übrigens eröffnet, als der Inhaber Zeit auf dem italienischen Festland verbrachte, um sich vor der Mafia zu verstecken.

Via Alessandro Paternostro 58
Täglich 11–23 Uhr
Anticafocacceria.it

Osteria Ballarò: Blickt man von der Terrasse des Apartments auf die ehemaligen Ställe im Erdgeschoss des Palazzos, wird schnell klar, dass dort inzwischen nicht mehr Tiere gehalten werden. Die Osteria auf der Rückseit des Gebäudes ist nach dem Markt der Stadt benannt – es versteht sich also von selbst, dass ausschließlich sizilianische Zutaten ihren Weg in die Speisen finden.

Via Calascibetta 25,
Täglich 9–15 Uhr und
19–23 Uhr
Osteriaballaro.it

Heilige Kastanie! Oft zieht schon am frühen Vormittag der Duft nach gebratenen Kastanien durch die Gasse vor dem Palazzo Cattolica. Zwischen bunten Fähnchen hat dann ein altes Ehepaar seinen kleinen Stand direkt vor der Kirche San Francesco d’Assisi aufgeschlagen. Laut Antonio die besten Kastanien der Stadt.

San Francesco d’Assisi
Via del Parlamento, 32

 

TRINKEN

Taverna Azzurra: Sie gilt als die authentischste Kneipe Palermos – und besonders am Wochenende ist sie wegen der Menschentraube davor eigentlich nicht zu verfehlen. Sizilien ist bekannt für seine guten Weine, Antonio hat einen ganz besonderen Tipp: „Unbedingt einen Sangue di Sicilia ordern, ein süßer mostartiger Wein, den es nur auf der Insel gibt.“ So rar ist die Köstlichkeit, dass man in der Bar nur ein Glas ordern darf.

Via Maccherronai 15,
Mo bis Sa 9–5 Uhr

 

SHOPPEN

La Borsa del Pellegrino: Wo im Erdgeschoss des Palazzo Cattolica früher die Pferdesättel hingen, ist jetzt eine Lederwerkstatt, die Taschen und Gürtel in Handarbeit im Atelier fertigt. Bei einem Espresso kann man dem jungen Inhaber Francesco über die Schulter schauen und etwas über verschiedene Nähte und Lederverarbeitung lernen.

Via Calascibetta 9,
Täglich 11–19 Uhr
Borsadelpellegrino.com

Edizioni Precarie: Spielerische Handwerkskunst: Carmela Dacchille und Giulia Basile betreiben seit 2013 den Papierladen.Hier gibt es zum Beispiel Schreibpapier, das angelehnt ist an die traditionellen Verpackungen von Fleisch, Früchten und Käse auf den Märkten Palermos. Antonio: „Ideal zum Einwickeln von Gedanken, Ideen, Zeichnungen und zur Erhaltung ihrer Frische.“

Via Alessandro Paternostro 75,
Mo bis Fr 10–20 Uhr,
Sa 14–10 Uhr,
So 11–17 Uhr
Edizioniprecarie.it

Il Mare a Vela: Das Meer auf Segeln entdecken – darauf hat sich Antonio spezialisiert. Sein Segelboot bietet Platz für sechs Passagiere, und neben seinen längeren Segeltörns bietet er auch Tagesausflüge von Palermo aus an. Zum Beispiel zum Strand von Mondello. Antonio ist dann Kapitän und Koch in Personalunion: Zum Mittagessen gibt es natürlich frischen Fisch.

Via A. Paternostro, 48


Mercato della Vucciria: „Regel Nummer 1: Alles was frisch ist, gibt es in Palermo nicht im Supermarkt, sondern auf der Straße.“ Wenn Antonio Fisch für das Abendessen oder seine Segelgäste kauft, dann auf dem Mercato della Vucciria, dessen kleine Stände jeden Tag außer an Sonntagen die kleinen Gassen um die Piazza Caracciolo säumen.

Piazza Caracciolo,
Mo bis Mi 16–1 Uhr,
Mo bis Sa vormittags

 

KULTUR

Pasqualino Museum: Die Puppen richtig tanzen lassen! „Opera dei pupi“, das Marionettentheater zählt zur sizilianischen Volkskunst und setzt auf mittelalterliche Stücke und ganz klare Rollenverteilung: Gut vs. Böse, Ersteres gewinnt immer. „Ich glaube, dieser Gedanken hat viele Leute hier in der Stadt am Leben gehalten, wann immer Palermo belagert oder unterdrückt wurde“, sagt Antonio. Vielleicht auch deswegen sind die Marionetten im Puppenmuseum so Kunst und fantasievoll wie nirgends sonst auf der Welt.

Piazzetta Antonio
Pasqualino 5, Di bis
Sa 10–18 Uhr,
So bis Mo 10–14 Uhr,
www.museodellemarionette.it

Dieser Beitrag erschien in Sense of Home 1/2019. Text: Lea Rieck; Bilder: Sima Deghani. Alle Rechte liegen bei Sense of Home bzw, den Autoren und Fotografen.